Prof. Dr. Michael Ronellenfitsch

SEMESTERKLAUSURENKURS WS 1996/97
2. KLAUSUR IM ÖFFENTLICHEN RECHT


Die Bundesregierung strebt eine Regelung des Presserechts an. Das Bundespressegesetz soll durch folgende Norm ergänzt werden:

"Tageszeitungen und Wochenblätter, deren Auflagen-Marktanteil in ihrem Verbreitungsgebiet innerhalb eines Bundeslandes mindestens 80 % erreicht, sind verpflichtet, Wahlkampfanzeigen der politischen Parteien, die für einen Wahlvorschlag zum Deutschen Bundestag, zum Europäischen Parlament oder zum Landtag bei der vorhergehenden Wahl zugelassen waren, während der letzten fünf Wochen vor dem Wahltag in angemessenem Umfang zu den marktüblichen Preisen abzudrucken. Dies gilt für Wahlen zum Deutschen Bundestag, zum Europäischen Parlament, zum Landtag und zu den kommunalen Vertretungen."

Bevor das Gesetzgebungsverfahren in Gang gesetzt wird, kommen der B-Fraktion im Landtag des Bundeslandes X Bedenken gegen die Regelung. Der Landtag von X faßt deshalb den Beschluß, die Landesregierung zu verpflichten, im Bundesrat gegen das Gesetz zu stimmen.

Im Gesetzgebungsverfahren stimmt die Landesregierung von X dem zustimmungspflichtigen Gesetz zu. Ohne ihre Zustimmung wäre das Gesetz gescheitert.

Das Gesetz wird ordnungsgemäß im Bundesgesetzblatt verkündet.

Frage 1: Ist das Gesetz formell und materiell verfassungsmäßig?

Frage 2: a) Kann der Landtag von X die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes vor dem Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen, weil er die Stimmabgabe der Landesregierung von X für unwirksam hält?

b) Unter welchen Voraussetzungen ist die oppositionelle C-Fraktion im Deutschen Bundestag zu einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht berechtigt?

c) Die neu gegründete D-Partei, die noch nie an einer Wahl teilgenommen hat, möchte ebenfalls vor dem Bundesverfassungsgericht klagen. Ist ihre Klage zulässig?

Bearbeitungszeit: 5 Stunden

Hilfsmittel: Dürig, Gesetze des Landes Baden-Württemberg; Schönfelder, Deutsche Gesetze; Sartorius, Verfassungs-und Verwaltungsgesetze